Mit harter Arbeit ist alles möglich! So oder ähnlich lautete das Wohlstandsversprechen des 20. Jahrhunderts. Und gerade in der Nachkriegszeit ging es für viele Menschen nur Bergauf. Die Löhne stiegen jährlich um 2-3 Prozent, die Arbeitslosigkeit war tief und mit einer soliden Berufslehre konnte Mensch genügend verdienen, um eine Familie gut durchzubringen. Die Realität im 21. Jahrhundert sieht jedoch anders aus.
In der Schweiz sind die Reallöhne seit 2000 sehr schwach gewachsen, obwohl die Wirtschaft expandierte. Beim Kapital und einem winzigen Teil der Lohnabhängigen hingegen beobachtete man enorme Einkommenszuwächse. 2003 besassen die 300 Reichsten in der Schweiz insgesamt 352 Milliarden Franken. 2020 waren es schon 707 Milliarden Franken. Dies entspricht einem Zuwachs von 355 Milliarden Franken. Ein wichtiger Treiber dieser Entwicklung sind Kapitaleinkommen, also Dividenden, Aktiengewinne und Zinsen, welche den Reichsten jedes Jahr Milliarden in die Taschen spülen. Das Steuersystem hat diese Ungleichheit sogar noch verschärft. Während in dieser Zeit die Reichsten zusätzlich von Steuersenkungen im Bereich von 5-6 Milliarden Franken pro Jahr profitieren konnten, nahm die Steuer- und Abgabenbelastung für die tiefen und mittleren Einkommen um 260 bis 300 Franken pro Monat zu. Dies führt dazu, dass dank Steueroptimierungstechniken die Reichsten heute prozentual weniger Steuern bezahlen als der Mittelstand.

Für den Mittelstand kommen steigende Krankenkassenprämien und hohe Mietkosten als zusätzliche Belastung hinzu– gerade auch in meinem Heimatkanton Zug. Dies führt dazu, dass immer mehr Menschen von Einkommensarmut betroffen sind – 2019 waren dies schweizweit 735 000 Personen. Diese Personen verfügen also über weniger als 2279 Franken pro Monat bzw.  3976 Franken pro Monat für eine vielköpfige Familie. Zudem besitzt jede vierte Person in der Schweiz kein Vermögen oder ist sogar verschuldet. Auch bei der Chancengerechtigkeit sieht es in der Schweiz leider alles andere als rosig aus. Kinder aus Familien in den untersten 10 Prozent der Einkommen brauchen laut Untersuchungen der Universität Zürich fünf Generationen, um auch nur einen Schweizer Durchschnittslohn zu erreichen – genauso wie in den USA. Die Chancen vom Mittelstand zu den höchsten Einkommensschichten vorzustossen sind verschwindend klein. 50% der 300 reichsten Schweizer*innen haben ihr Vermögen allein durch Erbschaften erzielt.

99%-Initiative schafft den nötigen Ausgleich

Die 99-Prozent-Initiative will dies ändern und verlangt eine längst überfällige Wende zugunsten des Mittelstandes. Sie will die Kapitaleinkommen der Topverdiener*innen höher besteuern. Die reichsten Schweizer*innen sollen einen angemessenen Beitrag fürs Gemeinwohl leisten, denn es darf nicht sein, dass Arbeitseinkommen stärker als Kapitaleinkommen besteuert wird. Gleichzeitig kurbelt die Initiative die Wirtschaft an, indem sie die Kaufkraft stärkt. Mit den Mehreinnahmen aus der Besteuerung der Kapitaleinkommen kann der Mittelstand entlastet werden und so bezahlt die Mehrheit der Bevölkerung schlussendlich weniger Steuern. Die zusätzlichen Steuereinnahmen sollen der Bevölkerung zugutekommen. Beispielsweise indem die Prämienverbilligungen bei den Krankenkassen endlich erhöht werden und die AHV-Renten wieder steigen.
Die Lobbyverbände der Reichsten versuchen nun mit falschen Argumenten Stimmung gegen die Initiative zu machen und suggerieren sogar, dass der Mittelstand von dieser Initiative betroffen sein wird. Um genügend Kapitalgewinne zu realisieren, um von der Initiative betroffen zu sein, braucht man ein Vermögen von Mindestens 3.3 Millionen Franken. Wenn sie wie ich deutlich weniger Besitzen, so können sie getrost Ja stimmen. Und auch Besitzer*innen von KMU’s sind nicht davon betroffen. 56% der Firmen in der Schweiz zahlen keine Unternehmensgewinnsteuer und über 34% der Unternehmen haben weniger als 100 000 Franken Kapitalgewinne pro Jahr.
Ein weiteres Märchen, welche uns Economiesuisse & Co auftischt, ist der Fakt, dass Millionär*innen und Milliardär*Innen ihre Kapitalgewinne wieder reinvestieren und somit schlussendlich Arbeitsplätze schaffen. Die Investitionsquote, also der Anteil am Bruttoinlandprodukt, welcher investiert wird, stagniert seit Jahren. Während die Investitionsquote bis 2007 noch bei 26,5% lag, fiel sie bis 2019 auf 25,5%. Gemessen daran, dass die Vermögensungleichheit in dieser Zeit massiv zunahm und Steuerschlupflöcher für Milliardär*innen geschaffen wurden, wird schnell klar, dass die Reichsten ihr Geld immer weniger in die Schweizer Wirtschaft reinvestieren.
Die 99% Initiative verbessert die Gerechtigkeit in unserem Steuersystem. Wenn wir die Idee des Aufstiegs und der «Tellerwäscher-Karriere» wiederbeleben wollen, dann braucht es eine Balance und einen besseren Ausgleich zwischen Arm und Reich. Wir brauchen dafür zukunftsgerichtete Investitionen in unser Bildungssystem, in die soziale Wohlfahrt und in den Klimaschutz. Die 99%-Initiative entlastet den Mittelstand und macht diese Investitionen möglich.